Storytelling im Glas

Wie Storytelling handlungsorientiert und künstlerisch für Kinder und Jugendliche in Projekte zur Werteorientierung und Teambildung eingebettet werden kann.

„Kuck mal Frau Wagemann!“, Tim springt mir fröhlich entgegen. Sein Gesichtsausdruck strahlt eine Mischung aus Stolz und Andacht aus, als er mir sein Glas vor die Augen hält. Im Glas befindet sich ein wenig Moos am Grund und darauf sorgfältig angeordnet ein Schneckenhaus, ein Lärchenzapfen, ein Zweiglein mit etwas Blattgrün. All diese kleinen feinen Dinge aus der Natur stehen symbolisch für das, was Tim sich zu seinem Wunsch und seinen Beitrag zum Gelingen einer guten Klassengemeinschaft gedacht und vorgenommen hat.

Das Konzept Storytelling im Glas im Projekt zur Wertorientierung und Wertebildung in der Grundschule

Der Viertklässler nimmt mit seiner Klasse an meinem Projekt zur Wertebildung teil. Nach den anstrengenden Coronajahren, die sie und ihre Schüler durchstehen mussten, wollte die Klassenlehrerin ihren Schülern zu Beginn des letzten Grundschuljahres etwas Gemeinschaft-Stärkendes zukommen lassen. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen buchte sie für fünf 4. Klassen mein Konzept „Storytelling im Glas“. Das handlungsorientierte-künstlerische Projekt gibt Impulse zur nachhaltigen Wertebildung sowohl innerhalb der Klassengemeinschaften als auch in jedem einzelnen Schüler.

Märcheninhalte – Impulsgeber zur Wertebildung

Die gesamte Projektkonzeption wird von einer Märchenerzählung zusammengehalten. Wie ein roter Faden durchzieht sie das Projekt und verbindet dabei einzelne, sich aufbauenden Projekteinheiten wie Perlen miteinander. Nach einer kleinen Wanderung zur Erkundung der Umgebung des Schullandheims beginnen die Schüler am Morgen des zweiten Tages ihre erste Projekteinheit. Die Kinder setzen sich zuerst mit den Protagonisten des Märchens auseinander. Das Märchen erzählt von fünf Männern, die allesamt außergewöhnliche Eigenschaften besitzen, welche sehr übertrieben und augenzwinkernd dargestellt werden. Märchenhaft eben. Schnell wird klar: Der Held des Märchens, ein armer Schlucker, erreicht sein Ziel nur, wenn diese fünf besonderen Märchenfiguren effektiv für ihn zusammenarbeiten.

Das Märchen erzählt von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die jeder Mensch zu einem gelingenden Leben braucht

Die freie Märchenerzählung führt die Zuhörer in eine völlig andere Welt, die auf den ersten Blick scheinbar nichts mit ihrer realitätsbezogenen Alltagswelt zu tun hat. Bei genauerer betrachtung erzählt es aber genau das, was wir in unserem „richtigen“ Leben so dringend benötigen: Es erzählt von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die benötigt werden, damit das Leben erfolgreich gelingen kann. Und es erzählt noch mehr: Es erzählt von Zusammenhalt und Freundschaft, die der Mensch zum Leben in und mit der Gemeinschaft braucht. Zusammenhalt, Freundschaft und Selbstwirksamkeit geben Sicherheit, machen Mut und helfen innere wie äußere Nöte zu bestehen. All dies sind wesentliche und notwendige Erfahrungen, die die Kinder in ihrer Klassengemeinschaft erfahren und erleben sollten. All dies sind Grundlagen, die der Mensch zeit seines Lebens braucht, um das Leben mit all seinen Herausforderungen bestehen und meistern zu können! Die Märchenerzählung kann Impulse dafür geben und aufzeigen wie Gemeinschaft gelingen und zum Erfolg führen kann.

Ein Symbol in einem Glas auszustellen betont dessen Bedeutsamkeit

In kleinen Gruppen gehen die Kinder nun hinaus ins Freie mit dem Auftrag, sich intensiver mit einer der Märchenfiguren auseinanderzusetzen, deren Eigenschaften zu erforschen und etwas aus der Natur zu finden, das symbolisch für diese Eigenschaften steht. Der anschließende künstlerische Auftrag ist, die mitgebrachten Natursymbole zu exponieren. Dafür erhält jede Gruppe ein Glas und Anregungen zur Gestaltung desselben.

Natursymbole in einem Glas auszustellen hebt diese zweifach heraus aus ihrem natürlichen Kontext. Im ersten Schritt wurden die Symbole ihrer natürlichen Umgebung entnommen und stehen nun stellvertretend, symbolisch, für eine Fähigkeit der Märchenfigur. Dies entspricht der ersten Heraushebung eines Naturgegenstands. Ein Stein wird so beispielsweise zum Symbol für Kraft. Dieser Stein, in ein Glas gelegt, wird durch den kulturellen Akt des in ein Glas Legens um ein weiteres Mal in dem, was er ursprünglich war, nämlich ein Stein, der auf dem Weg lag, verfremdet und aus seiner ursprünglich angedachten Daseinsform, herausgehoben. Die Exponierung des Steins im Glas steht damit einerseits für die übertriebene Darstellung der Märchenfigur, andererseits bringt sie die besonderen Fähigkeiten und Eigenschaften der Märchenfigur gleich einem Exponat, dass in einem Museum hinter Glas in der Vitrine steht, zur Geltung.

Und das ist immer noch nicht alles. Bis hierher wurde der Stein symbolisch von einigen wenigen Schülern aufgeladen und exponiert. Der Stein erfährt nun eine dritte Heraushebung seiner ursprünglichen Bedeutung: Er wird im Plenum vor der ganzen Klassengemeinschaft aus- und vorgestellt. Die ganze Gemeinschaft sieht und bezeugt was der Stein jetzt darstellt: eine große Kraft!

Vom erwünschten Wert des Einzelnen hin zur gelebten Wertegemeinschaft einer Klasse

Am zweite Projekttag befassen sich die Schüler und Schülerinnen mit dem Leben innerhalb ihrer Klassengemeinschaft. Welche Vorstellungen haben Schüler und Schülerinnen davon, wie sie miteinander in der Klasse umgehen und leben möchten? Welche Werte sollten gelebt und kultiviert werden? Und was kann jede und jeder einzelne selbst dazu beitragen? Die Kinder suchen sich dazu wieder Symbole aus der Natur und stellen diese in einem eigens dafür mitgebrachten Glas aus.
Der Projekttag endet mit einem Ritual für die ganze Klasse, in dem jeder einzelne mit dem eigenen Glasexponat vor die Klassengemeinschaft tritt und vor allen laut und deutlich ausspricht, was ihm bzw. ihr wichtig und wert ist. Die Symbole werden dann in einem zweiten Schritt würdevoll in einem großen Klassenglas gesammelt. Dieses Glas steht nun im Klassenraum und dient Schülern wie Lehrern nicht nur zur Erinnerung an alle guten Vorsätze, sondern kann auch weiter für klasseninterne Themen eingesetzt werden.

Konzept Storytelling in der Ausbildung von Jugendlichen

In der Projektarbeit mit Jugendlichen findet das Storytelling-Konzept seinen Einsatz nicht nur in der Wertebildung, sondern auch und vor allem in der persönlichen Charakterbildung und der Ausbildung und Kultivierung solider Teamarbeit. Hierbei geht es um Führungsstile und Führungstypen, um Kompetenzen eines jeden einzelnen für sich sowie innerhalb einer Gruppe, um Herausforderungen und um die Frage, was ein gutes Leitungs- oder Arbeitsteam ausmacht. In einer ersten Einheit befassen sich die 15 bis 18jährigen jungen Mädchen und Jungen mit den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Figuren aus verschiedenen Märchen, u.a. auch mit den Figuren des oben erwähnten Märchens.

Märchenfiguren und -inhalte, Projektionsflächen für eigene Qualitäten und Schattenseiten

Was macht einen guten König aus? Was bedeutet eigentlich „König-Sein“ übertragen auf mich selbst? Was sagt ein Märchen aus, wenn es von einem „alten und schwachen“ König erzählt, was, wenn es von einem „hinterlistigen intriganten“ König spricht? Wie verhält sich der Held diesen Königen gegenüber? In der Märchenfigur des Königs lässt sich erfahrbar machen, dass es noch viel mehr als nur einen König braucht, um ein Land erfolgreich zu regieren respektive ein Team oder gar ein Camp zu leiten. Ein König respektive ein Teamleiter benötigt ein Team, welches mit ihm zusammenarbeitet und wie er ein Ziel vor Augen hat: das Camp erfolgreich zu führen. Infolgedessen werden auch die Herausforderungen, die im Team oder im Camp auftreten können, unter die Lupe genommen. Die Jugendlichen arbeiten heraus und spielen im Rollenspiel nach, welche Qualitäten analog den Märchenfiguren benötigt werden, um diese Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Wer ist ein Held, wer ein Helfer, wem liegt eher die Rolle der Ratgeberin, wem die der sogenannten allwissenden „grauen Eminenz“ im Hintergrund? Was passiert, wenn eine Figur selbstsüchtig und machtvoll in das Geschehen eingreift oder gar Böses im Schilde führt? Märchenfiguren und -inhalte dienen hier als Projektionsflächen um eigene Qualitäten und Schattenseiten zu erkennen und handhaben zu lernen. Und das geschieht auf eine ganz besonders märchenhafte und spielerische Weise, macht obendrein auch noch Spaß und kommt völlig ohne erhobenen Zeigefinger und ohne die Entstehung von Schuldgefühlen oder Gewissensbissen aus!

Für wen ist das Konzept „Storytelling im Glas“ geeignet?

Das Konzept „Storytelling im Glas“ hat zum Ziel, den Blick des Einzelnen auf das Selbsterleben innerhalb einer sozialen Gruppe zu lenken. Es richtet dabei gleichzeitig den Fokus einer Gruppe auf den Einfluss und die Konsequenzen, die Handlungen des Einzelnen auf die Entwicklung von Gruppendynamiken haben. Das Konzept lässt sich sehr gut in Projekten mit Kindern im Vor- und Grundschulalter und in Projekten mit Jugendlichen einsetzen. Je nach Fragestellung und Zielsetzung lenke ich dabei den Fokus entweder auf ein von mir ausgewähltes Märchen und dessen Inhalt oder aber auf eine bestimmte Märchenfigur und deren Handlungsverlauf in unterschiedlichen Märchenkontexten. Die Kraft der Story eines Märchens oder einer Geschichte, ob im Rollenspiel oder selbsterfunden, ob in künstlerischer Auseinandersetzung oder über Symbolarbeit in und mit der Natur, bietet an, eine Sache aus einer anderen und vor allem in neuer Perspektive zu betrachten. Kinder wie Jugendliche lernen dadurch, zu Entscheidungen zu kommen, neue Fragen zu formulieren sowie eigene Antworten auf Dinge zu finden, die sie selbst und das, was sie erreichen wollen, vorantreiben und weiterführen.

Das handlungsorientierte – künstlerische Konzept „Storytelling im Glas“ kann sowohl in außerschulischen Einrichtungen als auch als Projekt für den Schulalltag gebucht werden und ist flexibel auf Ihre Wünsche und Zielsetzungen anwendbar.

Feedback aus der Zusammenarbeit mit meinen Projekten zum Thema „Storytelling“ finden Sie hier (Testemonial Annette Fischer, GS Grafing und Jugendzentrum Papperla-Ulrike Huber)

Habe ich Ihr Interesse geweckt? Gerne nehme ich Ihre Anfrage entgegen: Storytelling

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Nahaufnahme von Märchenexpertin Elke Fischer-Wagemann, wie sie mit einem blau gemusterten Schal vor einer gelblichen Mauer steht und in die Kamera lächelt.

Hallo, ich bin Elke Fischer-Wagemann

Als Märchen­pädagogin & Natur­therapeutin mache ich die Verbind­ung zwischen Märchen und Natur­erfahrungen erlebbar.

In meinem Blog schreibe ich über meine Märchen­expertise, Persön­liches und Natur­begeg­nungen.

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